Sonntag, 15. Mai 2016

Haibun: Lesung

Auf einer interessanten Lesung über einen bekannten Literaten. Der ältere Herr vor mir hat auf seiner Glatze eine kleine rote Wunde, vielleicht von einem aufgekratzten Mückenstich. Als die Lesung in ein langatmiges Fahrwasser gerät, bemerke ich, dass die Glatzenwunde zu nässen beginnt und sich auf der linken Seite der Stelle eine winzige gelbe Kruste gebildet hat. Als sich die wenig ereignisreiche Textstelle der Lesung weiterhin in die Länge zieht, entdecke ich eine zweite kleine rötliche Wunde.

Prozession
die Verabschiedung
fällt kurz aus

Montag, 2. Mai 2016

Haibun: Bettler

Bettler

Seit einigen Jahren besucht uns immer wieder im Abstand von einigen Wochen ein älterer Bettler. Er spricht von seinem Wohnwagen, den er nicht zurück bekäme. Meistens stecken wir ihm eine Kleinigkeit zu. Umso häufiger kommt er danach. Nun möchte er gern Fleisch zu essen und etwas zu Trinken haben, weil er solchen Hunger hat, doch so spontan kann ich ihm kein Fleisch herbeibringen. Ich biete ihm ein paar Brötchen und eine Flasche Leitungswasser an. Doch er hätte gern Cola, das trinke er seit seiner Kindheit. Trockene Semmeln sind auch nichts für ihn. Cola hatten wir allerdings noch nie im Haus. Da will er lieber verhungern. Und er geht.

Krankentransport
die pausenlose Schwärmerei
über die Vergangenheit

Schwäne am Main - Kettengedicht

Ein Autobahn-Harfenkonzert
auf seinem Rücken
das blitzende Tatoo

Sein geschmeidiges Deckhaar
er beißt in ein
dickes Sandwich

Schnee im April
die Besprechung dauert
bis zum sechsten Kaffee

Kasernenneuling
am Samstags gehts zu
IKEA

Stimmungsaufheller
eine Fliege geschluckt
auf dem Weg zum Restaurant

Schwäne am Main
seine Unterschrift auf dem
Therapieantrag

Neue Hochhäuser
noch immer verschlossen
die Blütenknospen